
Gähnende Leere als das neue Normal im Teile-Lager: Der Teilemangel greift überall um sich, Bild: Pixabay
Macht Tesla der Teilemangel zu schaffen? Wer in letzter Zeit aufmerksam die Nachrichten zu Tesla (oder auch anderen Autobauern) verfolgt hat, bemerkt vor allem eine ungewöhnliche Zurückhaltung im Kerngeschäft. An manchen Stellen wird sogar der Rückwärtsgang eingelegt: Das Tesla Model S Plaid+ wurde gestrichen, das Model S Plaid um 10.000 Dollar/Euro verteuert, dessen auslieferbare Stückzahlen bleiben zum Anfang extrem bescheiden – es fehlen sogar die passenden Reifen und Felgen für die High-Speed-Variante. Beinahe unbemerkt blieb, dass auch das Tesla Model 3 betroffen ist, dessen beliebte Variante LR (mit größter Reichweite) in Deutschland laut Tesla Homepage erst wieder ab November 2021 lieferbar ist. Demgegenüber sind die Varianten Standard Plus (SR+) und Performance ab August lieferbar.
Was sind die Hintergründe des Teilemangels?
Lange Lieferzeiten für manche Modelle (gerade bei E-Fahrzeugen) von 8 Monaten, 7 Monaten oder auch mal 12 und mehr Monaten sind derzeit eher die Regel als die Ausnahme im Bereich der Automobilindustrie. Wer denkt, dies wäre einer hohen Nachfrage geschuldet, macht es sich zu leicht. Na klar, die Nachfrage ist, auch dank Corona-bedingtem Aufholgeschäft, da, aber es fehlt etwas Elementares: Nämlich so manches Bauteil. Nicht nur der bekannte Halbleitermangel stört die Lieferketten, auch verschiedene Kunststoffe und Metallteile sind knapp. Der Teilemangel greift inzwischen überall um sich.
Und treffen tut es alle…
…vom kleinen Hobbybastler bis hin zum Großkonzern. Von Audi über Mercedes und Tesla bis hin zu Volkswagen. Keiner bleibt verschont. Während der Corona-Pandemie haben viele Hersteller ihre Produktionen heruntergefahren. Und jetzt erholt sich die Wirtschaft besser und schneller als erwartet. Es werden plötzlich sehr viel mehr Teile pro Tag benötigt als noch vor einem Jahr. Zusätzlich befeuern Länder wie China eine Wiederbelebung der Wirtschaft. Und da die derzeitigen Produktionskapazitäten ohnehin schon auf über 100% ausgedehnt sind, ist eine weitere Steigerung nur durch Neuschaffung von Kapazitäten möglich.
Es werden deutlich weniger Autos gebaut
Bis diese in einigen Monaten tatsächlich greifen, müssen die Hersteller mit Abschlägen in der Produktion rechnen. Man geht derzeit von bis zu einer Million weniger gebauten Autos in 2021 aus, versursacht alleine durch den Teilemangel. Ob es unter diesen Vorzeichen Tesla gelingen kann, die geplanten 800.000 Fahrzeuge in 2021 auf die Räder zu stellen, muss inzwischen bezweifelt werden. Die Verschiebung der MY-Produktion in Tesla Grünheide, die eher zurückhaltende Nachfrage aus China, die Verspätung von Model S und Model X: Das alles summiert sich.
Große schichten um
Größere Hersteller wie VW, Toyota oder GM lassen die eine oder andere Schicht bei weniger nachgefragten Modellen ausfallen, und nutzen die Teile für eine „Quersubventionierung“ ihrer margenträchtigen „Highs“. Oder man lässt wie bei GM, bei einem Pickup wie dem Silverado auch schon mal das Start/Stop-System weg. Oder man disponiert innerhalb der Modellreihen inkl. der Nutzfahrzeuge um.

Kleine Hersteller wie Tesla haben da weniger Möglichkeiten. Da bleiben nur strategische Ansätze: Model S und X so weit zu verschieben, dass die Volumenmodelle Y und 3 einigermaßen regulär produziert werden können. Verlagerung innerhalb der Model-3-Produktion auf die Modelle SR+ (weniger Teile/ Komponenten) und Performance (höhere Marge als LR). Zusätzlich lässt man noch Teile weg (z. B. Lordosenstütze BF), um über die Runden zu kommen. Ob auch das jüngst eingesparte Abstands-Radar in Model 3 und Model Y (Pure Vision) ebenfalls mit unter diese Maßnahmen fällt, kann allerdings nur vermutet werden.
3 Milliarden Dollar Umsatzverlust je Quartal
Durch die Verschiebungen bei den Modellen S und X beträgt der Umsatzverlust je Quartal für Tesla sicherlich um die 3 Milliarden Dollar. Dies ist ärgerlich, und Tesla CEO hatte für 2021 vermutlich völlig andere Pläne. Zusätzlich sucht Tesla nun nach Möglichkeiten, in der Produktion weiter Kosten einzusparen. Ob an Dämmmaterial, Reduzierung von Schaumstärken oder neuen, billigeren Lieferanten. Die Suche läuft – auch über das Zulieferernetzwerk – auf Hochtouren. Inwieweit diese Maßnahmen nach Behebung der Engpässe wieder aufgehoben werden, lässt sich aktuell schwer abschätzen. Vielleicht hat sich Tesla letztlich auch deshalb entschieden, die Gigafactory 4 in Berlin-Grünheide inklusive einer Batteriefertigung zu beantragen, da man aktuell nicht unbedingt mehr Fahrzeuge produzieren könnte, da es derzeit keinen Sinn macht, voll risikobehaftet in Grünheide zu produzieren.
Auch die Zulieferer kämpfen mit langen Lieferzeiten
Das alles wird sich im Laufe des Jahres noch herausstellen. Fest steht, dass 2021 auf jeden Fall einige Tesla-Fahrzeuge in Berlin-Grünheide das Licht der Welt erblicken werden, das muss den Medienberichten und Investoren zuliebe auf jeden Fall klappen. Denn eines kommt noch dazu: Die Zulieferanten hängen genauso in der Lieferkette für Teile mit drin und spüren den Teilemangel. Sie haben mit den derzeitigen Problemen genauso zu kämpfen. Da fehlen dann schonmal ein paar Teile am Band. Gängige Lösung bei fast allen OEM: Das Fahrzeug wird auf den Parkplatz abgestellt und später nachgerüstet – dies aber dann zu höheren Produktionskosten. Auch neue Maschinen und Anlagen verzögern sich. Klammerschussgeräte, die vor ein paar Monaten noch Lieferzeiten von 6-10 Wochen hatten, lassen auf einmal 25 Wochen auf sich warten. Gewisse Steuerungselemente, Robotik-teile etc. haben ebenfalls erhöhte Lieferzeiten.
Hektisch wird nun auf Geschäftsleitungs-Ebene versucht, Druck auszuüben, die Schuld überwiegend bei anderen gesucht oder sogar eine Verschwörung gegen Tesla oder das Horten von Material vermutet.
Doch blinder Aktionismus und vorwurfsvolle Anschuldigungen sind in solchen Phasen unangebracht. Man muss einfach versuchen das Beste draus zu machen. Miteinander statt gegeneinander. Es kommen auch wieder bessere Zeiten.
Das Spannende wird sein:
Sieht man es an den Zahlen?
Wenn Tesla die 800.000 BEV verkaufen kann in 2021 ist es wohl nicht so arg gewesen mit dem Teilemangel.
VW und Daimler schieben aktuell wieder Kurzarbeit.
https://www.tagesschau.de/wirtschaft/unternehmen/kurzarbeit-daimler-mercedes-vw-bmw-autobranche-chipmangel-101.html
Es war ja zu erwarten, dass die Pandemie noch länger Auswirkungen auf die Wirtschaft haben wird. Nicht auszudenken, wenn eine Knappheit an lebenswichtigen Medikamenten durch den Rückgang der Produktion in Indien überall spürbar wird.
Aber, ich bin schon der Meinung, dass alle Hersteller von BEV bei den Zulieferern bevorzugt werden müssten. In dieser Zeit muss man keinen neuen Verbrenner haben, es gibt einen großen Markt von guten neuen Gebrauchten, falls der Alte nicht mehr wirtschaftlich reparabel ist. Wenn jetzt Neuwagen, dann bitte Umstieg auf BEV.
Von mir aus, dies mit einem moderaten Preis-Aufschlag auf bestehende Verträge, aber auch mit einer Nachweispflicht, wofür die Teile eingesetzt werden.
Bei der Pandemie haben viele draufgezahlt (nicht alle, wenn ich z.Bsp. an Quandt und Klatten denke) – dann soll sie wenigstens dazu dienen, dass CO2-Produzierer mengenmässig zurückgefahren werden und der Wandel zu nachhaltigem Verkehr schneller realisiert werden kann.
selbst wenn das logistisch funktionieren würde – ICE-Abteilung verzichtet zugunsten BEV (was Freddy ja anzweifelt) – fehlt mir das logische „Warum“: Warum sollten Wirtschaftsunternehmen das tun? Sie bauen BEV, weil die Regierungen sie dazu zwingen (und weil Tesla schon vor Jahren gezeigt hat, dass es technisch sehr gut möglich ist). Jetzt klettert so langsam die Nachfrage der Verbraucher – aber immer noch vertraut eine Mehrheit von knapp 90% der Neuwagenkäufer (!) auf alte Technologie. Rein marktwirtschaftlich wäre es von Marktteilnehmern also doof, diese 90% nicht zu bedienen bzw. sogar bevorzugt zu bedienen. Hier also zu fordern, die Zulieferer sollten BEV Hersteller bevorzugen, würde bedeuten, dass diese aus rein altruistischen Motiven handeln könnten. Ich weiß nicht, ob ich es schon erwähnt habe, aber ich glaube nicht an das Gute im Menschen… 😉
Dann muss man die CO2-Bepreisung auch doof finden und die BAFA-Förderung, denn 90% der Neuwagenkäufer müssen zum ersten in Zukunft draufzahlen oder gehen zum zweiten leer aus…
Die Zulieferer sollen ja auch nicht leiden, die sollen alles loswerden. Aber jetzt zu beliefern, wer am meisten zahlt, weil durch eine Pandemie eine Knappheit entstanden ist, sollte nicht dazu führen, dass BEV-Produktionspläne zurückgefahren werden. Und so sieht es aber aus.
Generelle Entscheidung: Völlig freier Markt oder zukunftsorientiertes Lenken mit ein kleines bisschen weniger Profit am Ende?
du missverstehst mich: natürlich geht es NUR über (staatliche) Lenkung, aber eben nicht darüber, dass man – wie Elon Musk – an die Zulieferer und Chiphersteller herantritt und von ihnen einen Sonderbehandlung fordert. Die sind da einfach die falschen Ansprechpartner.
Letzteres habe ich wiederum nicht gemeint. 🤣 Der Tag der Missverständnisse.
Wobei sich mir die Frage stellt: aufgeschoben oder aufgehoben? Wenn sich die Lieferzeiten ploetzlich z.B. verdoppeln, was macht der Kaeufer? Leasingvertrag verlaengern, Altfahrzeug spaeter abstossen? Oder die naechstbeste Alternative waehlen, z.B. einen der auf Halde gebauten ICE’s?
leider oder zum Glück steigen die Lieferzeiten auch im ICE Bereich, so dass ein Ausweichen auf alte Technologie DESWEGEN wohl eher nicht zu befürchten ist. Am ehesten fahren die Leute ihre alten Kisten weiter, wenn ich mal tippen sollte. Ich kenn da so nen Corsafahrer… 🤔 Aber hey: 11,4% BEV Anteil im Mai für D, juhuu 🥳
in Dschörmäni führt das nicht nur zu längeren Lieferzeiten von leckeren Haben-Will-Autos, sondern auch zu geringeren Nachlässen sowie einem Run auf junge Gebrauchte – und auch dort zu Preisanstiegen. Kann man sich ja fast glücklich schätzen, gerade erst einen vollständigen gechipten Neuwagen ergattert zu haben… 😜 Trotzdem superdoof für Tesla in dieser heißen Phase der Expansion…